Buchempfehlung: Suchtbericht.de von Kai und Gisela Sender

kai-und-giselaIch kenne Kai Sender und seine Frau Gisela über die Trauerarbeit. Gisela arbeitet in einem Bestattungsinstitut und Kai ist in der Leitung von Trauer.de. Bei einem Treffen im September habe ich die beiden in Bremen kennen gelernt. In der Vorstellungsrunde, denn es waren einige Trauerbegleiter eingeladen, sagte Kai ganz unverblümt, dass er persönlich noch nicht mit Trauer in seinem Leben konfrontiert wurde, er aber ein Suchtthema hätte. Ich war damals sehr angenehm überrascht, wie offen er damit umging. Nun halte ich das Buch „Suchtbericht.de“ von den beiden in der Hand und mir wird klar, warum mir Kai und Gisela von Beginn an so unglaublich sympathisch waren, und das ohne großen Schnickschnack und Gedöns. Die beiden haben sich offenbar dazu entschlossen, mit ihren Problemen – in diesem Fall Kais Alkohol- und Spielsucht – ganz offen umzugehen und ein Buch daraus gemacht. Als Kai erwähnte, dass sein Buch demnächst erscheint, wollte ich es natürlich sofort haben und nun kann ich es kaum wieder weglegen, denn es berührt mich und ich empfinde es als eine Wohltat.
Süchte aller Art werden oft dazu benutzt, um Gefühle zu unterdrücken. Kai führt Tagebuch über den Ausstieg aus der Sucht durch den Einstieg in seine Gefühle ab Ostern 2012. In ebenfalls großer Offenheit schreibt Gisela in eigenen kleinen Abschnitten, wie es ihr dabei ergeht.
Dieses Buch macht schon auf den ersten Seiten ganz klar, worum es geht, was hilft und was der Lohn dabei ist.
Es geht um unterdrückte Gefühle, darum, sie wahr zu nehmen und sie auszudrücken. Das wunderbare Ergebnis dabei ist, dass man sich selbst bei unglaublich unangenehmen Gefühlen, wenn man sie zulässt, lebendiger fühlt als wenn man sie unterdrückt. Das klingt jetzt wieder mal wie so ein lapidares Erfolgsrezept á la: Lass alles zu und du wirst erleuchtet, aber ich schreibe diese Zeilen keineswegs so locker und flockig dahin. Denn in der Zeit, in der ich vor ca. 10 Jahren um meinen verstorbenen Partner Tom getrauert habe, habe ich mir oft gewünscht, diese überwältigend schlimmen Gefühle wegsaufen zu können, denn es war nicht zum Aushalten und manchmal dachte ich, diese Gefühle würden mich umbringen. Ich habe es tatsächlich manchmal bedauert, dass mir Alkohol und Drogen nicht liegen. Klar ist es auch eine Form von Lebendigkeit, durch so eine schwere Trauerzeit zu gehen aber ich hätte damals oft Gott weiß was darum gegeben all das in dieser Vehemenz nicht zu fühlen, denn es war furchtbar und langanhaltend.
Kein Wunder also, wenn Menschen es vorziehen diese Art der Gefühle zu unterdrücken. Leider unterdrückt man dann früher oder später eben auch die schönen Gefühle mit und zerstört oftmals durch die daraus resultierenden Süchte sein eigenes Leben und das Leben seiner Liebsten. Doch zu dem Zeitpunkt, an dem man diese Entscheidung -wahrscheinlich ehr unbewusst – getroffen hat, kann man diese Konsequenz und dieses Ausmaß nicht mal annähernd ermessen.
Beide Wege: sich direkt negativen Gefühlen, die oft existenziell erscheinen mögen zu stellen oder den Umweg über eine Sucht und deren unglaublich anstrengenden Genesung davon zu gehen, sind sehr sehr schwere Wege, an denen ich nichts beschönigen und relativieren möchte. Das Buch Suchtbericht.de von Kai und Gisela Sender, was auch sehr gut „Sendebericht“ heißen könnte, zeigt mir: wenn wir ein erfülltes Leben führen möchten, kommen wir einfach nicht darum herum, uns der ganzen Bandbreite des Lebens zu stellen, um echt und komplett zu sein. Damit meine ich nicht fehlerfrei. Gerade in diesem Buch bekommt der Leser in einer ganz wunderbaren Deutlichkeit serviert, wie viel mehr uns Menschen berühren und auch leiten können, wenn sie ihr Innerstes mit uns teilen, auch wenn es nicht nach Ponyhof darin aussieht.
Geschrieben wurde dieses Buch, um Menschen, die unter einer Suchterkrankung leiden, zu zeigen, wie so ein Ausstieg daraus aussehen kann und ich bin mir sicher, dass Suchtbericht.de genau das tut. Für mich tut dieses Buch aber noch viel mehr: Es zeigt mir, wie zauberhaft es ist, nicht perfekt zu sein und das nicht zu verstecken. So treffe ich im echten Leben und im Buch mit Kai und Gisela Sender echte Menschen, bei denen sich niemand verstellen muss. Für mich sind solche Begegnungen sehr heilsam und ich bin sehr dankbar dafür.
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