Zwei Trauerbegleiter unterhalten sich Folge 2: Warum zögern Betroffene so lange bis sie sich Hilfe holen?

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Thomas, gerade heute wurde ich wieder von einer trauernden Witwe gefragt, ob es nicht nach 5 Wochen nach dem Tod ihres Mannes zu früh wäre, sich Hilfe zu holen. Es sei doch bestimmt besser, dass alles irgendwie alleine zu bewältigen, obwohl sie das Gefühl hat, es würde ihr immer schlechter gehen.

Einige meiner Klienten berichten mir, dass sie von ihrem Umfeld teilweise kritisiert werden, wenn sie erzählen, dass sie sich durch eine Trauerbegleitung Hilfe holen. Wahrscheinlich kannst du dir vorstellen, dass dann sogar mir für einen Augenblick die Spucke weg bleibt, wenn ich so etwas höre. Für alles gibt es Beratung und Profis, von Computern über Kücheneinrichtungen bis zu Typberatungen. Dafür wird ohne zu zögern Zeit und Geld investiert. Sobald es aber darum geht, sich Hilfe zu holen für das Schlimmste, das einem im Leben widerfahren kann, wird gezögert, diskutiert, ausgeredet und abgewertet. Eine Zeit lang habe ich angenommen, dass das Umfeld sich entlastet und beruhigt fühlt, wenn sich Betroffene Hilfe holen. Ich bin da ziemlich ratlos, woher diese Haltung wohl kommen könnte, dass Trauer keine Begleitung und Unterstützung benötigt, selbst, wenn man kaum noch ein und aus und wohin mit seinen bedrückenden Gefühlen in seiner Verzweiflung weiß. Vielleicht glauben viele, dass sich Hilfe in der Trauerzeit zu holen bedeutet, dass man psychisch labil oder gestört ist. Und deshalb glaube ich, dass wir gar nicht genug betonen können, dass Trauer keine psychische Erkrankung und sich Hilfe bei Schwierigkeiten zu holen, kein Zeichen für Schwäche ist sondern durchaus ein Zeichen von Stärke sein kann. Was meinst du? Liebe Grüße aus Berlin Eva

Liebe Eva, das ist ein wichtiges Thema, was Du da ansprichst. Auf der Messe „Leben und Tod“ in 2017 hat die Bestatterin Barbara Rolf den Begriff „Fluch der Tapferkeit“ geprägt. Wer als Kind oft zu hören bekam „Ist nicht so schlimm“ oder „Das schaffst Du schon“ oder, am schlimmsten, „ein Indianer kennt keinen Schmerz“, der setzt sich diese inneren Marker als unbewusste Botschaften in die Seele. Ich glaube tatsächlich, dass uns diese frühkindlichen Prägungen im Erwachsenenleben viel stärker beeinflussen, als uns das lieb ist. Reines Bauchgefühl, ich bin kein Psychologe, ich kenne keine Forschungen (Ich werde darüber demnächst noch bloggen, der Text ist derzeit in Arbeit. Hier also in aller Kürze eine Verdichtung des Kommenden)… Und wenn dann mal jemand stirbt…. Dann kommst Du aus diesen alten Mustern so ohne Weiteres nicht wieder raus. Was noch erschwerend hinzukommt: Trauer wird nicht ernst genug genommen. Kaum einer hat das richtige Bild von Trauer im Kopf. Wie denn auch? In Fernsehserien wird ständig gestorben, auf die spektakulärsten Arten – aber dass einer der Angehörigen an seiner Trauer darüber zerbricht, wird leider nie gezeigt. Dabei wäre das normal. Sowas kommt vor. Das gehört dazu. Und so herrscht dann, so befürchte ich, sogar bei Trauernden selbst so eine Meinung vor wie: Alles nicht so schlimm, irgendwie werde ich das doch wohl schaffen… das „bisschen“ Trauer… Oder übertreibe ich da, was meinst Du? Herzliche Grüße, Thomas

Nein, lieber Thomas, da übertreibst du überhaupt nicht. Einer meiner wichtigsten Sätze in meiner Begleitung ist: „Ja, es ist so schlimm, wie du es empfindest.“ (Egal was andere versuchen, dir einzureden). Eine meiner Klientinnen saß mal bei mir und sagte: „Jetzt ist mein Mann schon seit 7 Wochen tot und ich weine immer noch.“ Ich habe ihr damals gesagt, dass sie wohl noch das gesamte erste Jahr unglaublich viel weinen wird. Davon abgesehen, dass diese Heulerei enorm anstrengend ist und wir uns alle bis dahin kaum vorstellen konnten, dass wir überhaupt so viel weinen können, ist es ein Zustand, der natürlich nicht alle Menschen so hart trifft. Manche schaffen es, sich Hilfe zu holen und manche versuchen, es mit sich alleine aus zu machen. Was ich aber so besonders an unserer Arbeit finde, ist, dass die Leute genau dann so schwer trauern, wenn sie durch sehr große Liebe mit dem Verstorbenen verbunden waren bzw. immer noch sind und verzweifelt einen Weg suchen, wie sie diese Liebe irgendwie weiter leben können. Das bedeutet, dass es Verluste gibt, die man leichter verkraftet und welche, die kaum überwindbar sind. Dadurch sind wir alle dazu aufgerufen, die einzelnen Situationen ganz individuell zu betrachten und zu würdigen, statt von der einen Art des Umgangs damit auf die andere zu schließen und die falschen Erwartungen daran zu knüpfen. Es ist eben nicht nur so, dass jeder anders trauert, sondern dass auch noch jeder anders liebt und das jede Beziehung auch noch ihre ganz besondere Eigendynamik hat. Wir können es doch schon in Familien sehen, in denen der Vater oder die Mutter stirbt und die Geschwister komplett unterschiedlich darauf reagieren. Daher plädiere ich auch in Sachen Trauer für mehr Toleranz, Offenheit und auch Mut das zu leben, was man fühlt und nicht das, was einem beigebracht und eingeredet wird. Also machs gut. Eva

Liebe Eva, ja, das wird in Deinen Zeilen spürbar, dass es Dich da gepackt hat – das scheint ein Thema zu sein, bei dem Du an Deinem ganz eigenen Grundwasser angekommen bist…. Womit wir beim Thema Selbstachtsamkeit gelandet wären, aber das besprechen wir besser später mal. Was beim Lesen Deiner Zeilen in mir wach geworden ist: Diese Angst, die Liebe zu dem verstorbenen Menschen irgendwie verlieren zu können, das ist wirklich oft ein Thema. Oder, noch viel schlimmer, die Angst davor, dass die Erinnerungen an den gestorbenen Menschen verblassen könnten. Oder sogar verschwinden könnten. Deswegen trifft es Menschen in einer Verlustkrise ja auch so hart, wenn ihnen andere Menschen raten, sie sollten die verstorbenen Menschen jetzt einmal „loslassen“. Aber das geht ja gar nicht – und darum geht es ja auch gar nicht. Ich zitiere an dieser Stelle immer gerne Roland Kachler, der gesagt hat: Es geht nicht ums Loslassen, es geht darum, der Liebe zum gestorbenen Menschen eine andere Form zu geben. Es geht darum, den Verstorbenen in einer neuen, transformierten Form im eigenen Leben, in der eigenen Biographie verankern zu können – aber, und das ist das Wichtige: So verlässlich dort verankern zu können, dass ich mich getrost darauf verlassen kann, diesen Menschen ebendort, an diesem neuen inneren Platz, immer wiederfinden zu können. Das ist es, glaube ich, was man als Trauerweg beschreiben könnte. Und an die Stelle des „Loslassens“ muss ein sanftes Begreifen treten: Ja, es ist wahr, der Mensch ist wirklich gestorben… Das ist natürlich, wie alles, leichter gesagt als getan. Aber das wird Dir in Deiner Arbeit mit Trauernden auch immer wieder begegnen, oder? Was sagst Du Ihnen dann? Und wie siehst Du das überhaupt? Herzliche Grüße, Thomas

Lieber Thomas, dadurch dass ich bereits meine Mutter durch Suizid und meinen Lebenspartner Tom durch Krebs verloren habe, kann ich Trauernden versichern, dass es funktioniert, dass diese Menschen, die einem einst so wichtig waren, immer wichtig bleiben werden und dürfen. Tatsächlich leben sie weiter in meinem Herzen. Wir haben auf diese Weise die Gelegenheit festzustellen, wie groß unser Herz eigentlich ist und dass dort auch noch ordentlich viel mehr Platz ist, um auch noch mehr Lebende dort zu verorten. Unser Herz ist eben ein Muskel und wenn wir diesen trainieren, dann wächst er und wird stark. Das ist ein gutes Gefühl auch wenn der Verlust genau dort in unserem Herzen unendlich weh tut. Aber da ich weiter oben den Suizid meiner Mutter angesprochen habe: Übermorgen, am 10. September ist Welt-Suizid-Präventionstag. Eines meiner Ziele ist es, dem Thema Suizid in unserer Gesellschaft zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, daher habe ich das Buch: „Ich konnte nichts für dich tun: Trauern und Weiterleben nach einem Verlust durch einen Suizid“ geschrieben. Es ist mir wichtig, dass wir begreifen, dass es viel mehr Menschen gibt, die unter Depressionen leiden, als wir es uns vorstellen können. Viele Betroffene merken es oft noch nicht einmal selbst, dass sie diese Krankheit haben und es wird unterschätzt, wie tödlich diese sein kann. Daher kann Aufklärung als Prävention sehr entscheidend sein. Beispielsweise bin ich heute beim rbb in die Sendung zibbeingeladen worden, um über dieses Thema zu sprechen. Dass über den Welt-Suizid-Präventionstag immer mehr in den Medien berichtet wird, führt hoffentlich dazu, das Menschen, denen es seelisch nicht gut geht, sich aufmachen, um sich Hilfe zu holen. Auch hier, genau wie beim Thema Trauer, statt sich Hilfe zu holen, zögern die Menschen oft viel zu lang und schlagen sich ganz alleine mit schwierigen Situationen und Gefühlen durch die Welt und werden dabei immer einsamer und verstummen immer mehr. Das ist nicht gut. Für niemanden. In diesem Sinne Grüße ich dich. Eva

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